#11 Die Krise in Nepal – Leben in einem abhängigen Staat

Kaum Busse, nur die halbe Speisekarte, ewige Schlangen an den Tankstellen, kochen über offenem Feuer. Das sind ein paar der Dinge, die seit nunmehr seit über 100 Tagen hier mehr oder weniger Alltag sind. So lange dauert nämlich schon die Krise in Nepal an, die ich schon öfters mal so kurz erwähnt habe. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich hier mal ausführlich über Politik und Wirtschaft schreiben würde, aber ich habe in Deutschland auch noch nie erlebt, dass eine politische Krise so sehr das alltägliche Leben der Menschen beeinträchtigen kann. Deshalb werde ich jetzt mal erzählen, wie es überhaupt dazu kam, dass ganz Nepal plötzlich um jeden Liter Gas kämpft.

Angefangen hat es damit, dass Nepal im September diesen Jahres eine neue Verfassung bekommen hat. Seit 2008 schon ist Nepal keine Monarchie mehr, sondern eine Republik, aber seitdem konnte man sich nie auf eine richtige Verfassung einigen, und es galt eine Übergangsverfassung. Dass es jetzt nach 7 Jahren Diskussion eine richtige Verfassung gibt, kann man also wirklich als Meilenstein bezeichnen, und als ich hier angekommen bin, hat man auch gesehen, wie die Leute sich darüber gefreut haben, weil an vielen Häusern bunte Wimpelgirlanden aufgehängt waren. Allerdings hat die Verfassung bisher alles andere als Verbesserungen gebracht.

Indiens Problem mit der Verfassung

Man könnte ja meinen, es wäre Nepals Sache, was es so an Verfassungen und Gesetzte produziert. Hier erlebt man aber gerade hautnah, was es bedeutet, als kleiner und von anderen abhängiger Staat die Konsequenzen spüren zu müssen, wenn der große Nachbar nicht mit dem einverstanden ist, was man so macht. Indien hätte nämlich am liebsten, dass Nepal wieder eine hinduistische Monarchie wird, anstatt, dass es nach mehr Unabhängigkeit strebt, und sich mit der neuen Verfassung an westliche Vorbilder anlehnt. Um dies zu demonstrieren, hat Indien kurzerhand die Grenzen zu Nepal für Güter und Waren dicht gemacht. Das wäre ja nicht so schlimm, wenn Nepal nicht so schrecklich abhängig von indischen Importen wäre. Schulbücher, Gemüse, Medikamente, andere Rohstoffe, und allen voran Benzin und Gas kommen nahezu ausschließlich aus Indien. An all diesen Dingen herrscht plötzlich Mangel in Nepal und die Preise steigen unglaublich in die Höhe. Mir war gar nicht bewusst wie abhängig selbst das Entwicklungsland Nepal von Gas und Benzin ist, aber die Folgen sind unübersehbar. Die Schule ist ein paar Tage ausgefallen, weil es nicht genug Benzin für den Schulbus gab. Taxis sind fast doppelt so teuer wie normalerweise, weil der Taxifahrer das teurere Benzin irgendwie bezahlen muss. Busse fahren seltener und sind noch vollgestopfter als sonst (deswegen lässt die Polizei es zurzeit auch zu, dass Leute auf Busdächern fahren, normalerweise ist das verboten). Was hier noch dazukommt, ist, dass es normalerweise über den Tag verteilt immer Stromsperren von mehreren Stunden gibt, weswegen sich niemand, was kochen angeht, vom Strom abhängig macht, deshalb kocht hier nahezu jeder mit Gas. Jetzt ist es aber genau umgekehrt als sonst, die Stromsperren wurden von der Regierung gnädigerweise ausgesetzt, sprich es gibt meistens Strom, aber nun ja kein Gas mehr. Wie die verrückten kaufen viele Nepalesen jetzt elektrische Herdplatten, Wasserkocher, oder Reiskocher, weil sie kein Gas mehr bekommen, oder sich die horrenden Preise für das wenige Gas, das es gibt, nicht leisten können (Dass die elektrischen Geräte ihnen nach der Krise nichts mehr bringen werden, das scheint gerade keinen zu interessieren). Die andere Alternative ist kochen mit Holz. Auf der Straße sieht man es häufig, und auch wir kochen hier im Haus inzwischen über offenem Feuer, weil wir kein Gas bekommen.

 

Das Feuerholz, das bei uns im Hof abgeladen wurde, und das jetzt in einem kleinen Lehmofen für Feuer sorgt.
Das Feuerholz, das bei uns im Hof abgeladen wurde, und das jetzt in einem kleinen Lehmofen für Feuer sorgt.
Kein seltener Anblick dieser Tage: Eine Frau macht auf offener Straße ein Feuer, um darauf zu kochen. Dieser braune Klotz ist eine Art Ofen aus Lehm, so einen haben wir in groß auch, und man sieht mehrere Leute, die sich zur Zeit so etwas bauen. Immerhin wissen die Leute sich zu helfen, in Deutschland wären wir ziemlich aufgeschmissen...
Kein seltener Anblick dieser Tage: Eine Frau macht auf offener Straße ein Feuer, um darauf zu kochen. Dieser braune Klotz ist eine Art Ofen aus Lehm, so einen haben wir in groß auch, und man sieht mehrere Leute, die sich zur Zeit so etwas bauen. Immerhin wissen die Leute sich zu helfen, in Deutschland wären wir ziemlich aufgeschmissen…

Derweil wurden von der Regierung bestimmte Tage festgelegt, an denen bestimmte Fahrzeuggruppen Benzin bekommen. Wenn ich es richtig weiß, sind montags beispielsweise die Taxis dran. Dann reihen sich fast kilometerlang die Taxis am Straßenrand vor der Tankstelle auf. An anderen Tagen sind es Motorräder, Busse oder LKW, die sich schon am Abend vorher einreihen, um dann die ganze Nacht in der Warteschlange zu verbringen, und das für einen gerade mal halb vollen Tank.

CAM02701
An manchen Stellen kann man hinschauen wo man will, die Warteschlange scheint unendlich lang…

CAM02699

 

Das selbe ist es mit den Gasflaschen. Ich denke, dass die Leute schon am Tag vorher hergehen, und ihre Gasflasche einreihen, und dann einfach nochmal nach Hause gehen, in der Hoffnung, dass sich am nächsten Tag was tun wird.
Das selbe ist es mit den Gasflaschen. Ich denke, dass die Leute schon am Tag vorher hergehen, und ihre Gasflasche einreihen, und dann einfach nochmal nach Hause gehen, in der Hoffnung, dass sich am nächsten Tag was tun wird.
Die Gasflaschen sind auch alle mit einer Schnur oder Kette verbunden, ich denke, um zu verhindern, dass sich jemand vordrängelt.
Die Gasflaschen sind auch alle mit einer Schnur oder Kette verbunden, ich denke, um zu verhindern, dass sich jemand vordrängelt.

Mangel an allen Ecken und Enden

In den Restaurants ist es schon fast üblich, dass man eine Liste zur Speisekarte dazu gereicht bekommt, mit Gerichten, die wegen der Krise nicht serviert werden können. Entweder, weil die Zubereitung zu viel Gas verbrauchen würde, oder weil entsprechende Rohstoffe nicht verfügbar, oder derzeit viel zu teuer sind. Vorher habe ich schon kurz erwähnt, dass auch Medikamente aus Indien importiert werden. In vielen Krankenhäusern wird das inzwischen zu einem ernsthaften Problem, da es schlichtweg an wichtigen Medikamenten, wie zum Beispiel Antibiotika oder Insulin, sowie an Verbandsmaterial oder anderen Utensilien mangelt. Man sieht auch, dass in vielen Apotheken die Regale sehr leer geworden sind, und es gibt Befürchtungen, dass dadurch der Schwarzmarkt für illegale Medikamentenfälschungen befeuert werden kann.

Wegen der Krise hatten auch viele Schulen geschlossen, weil es kein Benzin für den Schulbus gab (deshalb hatten unsere Kinder auch so ewig Ferien, wie ich erzählt habe). Vor allem in diesem Jahr, wo schon so viel wegen des Erdbebens ausgefallen ist, trifft das die Schulbildung besonders hart. Es gab vorgestern auch eine Aktion aller Schulen in Kathmandu, dass sie zusammen gegen die Krise und für mehr Unterstützung der Bildung protestiert, und so eine 27km lange Menschenkette um Kathmandu gebildet haben. Auch unsere Kinder haben mitprotestiert. (Das war wieder mal eine typisch nepalesische Aktion, weil als ob keiner der Lehrer davon gewusst hätte, waren für den Tag einige Tests angesetzt, die sich jetzt mit anderen Tests in den nächsten Tagen häufen werden. Weiter, als bis zum nächsten Tag zu planen, liegt irgendwie nicht im Kompetenzbereich des Durchschnittsnepalesen…)

Indien, an allem Schuld? – Die Proteste in Nepals Süden

Die neue Verfassung Nepals stößt allerdings nicht nur in Indien, sondern auch in der Bevölkerung im Süden Nepals, im sogenannten Terai, auf Kritik. Man muss wissen, dass Nepal ein Land ist, das aus unglaublich vielen Volksgruppen besteht. Auch das Kastensystem ist, obwohl es offiziell schon lange außer Kraft gesetzt wurde, noch in vielen Köpfen präsent. Mit der neuen Verfassung wurde Nepal auch ein föderaler Staat, das heißt das Land wurde in viele Provinzen, ähnlich wie unsere Bundesländer, aufgeteilt. Dabei wurden die Grenzen absichtlich so festgelegt, dass innerhalb einer Provinz immer mehrere Volksgruppen vertreten sind. Dadurch soll dem Denken in Volksgruppen entgegengewirkt werden, und dadurch entstehende Diskriminierungen sollen verschwinden, so die Begründung der Gesetzgeber. Betroffene Volksgruppen, vor allem Minderheiten im Süden des Landes (leider unweit der Grenze zu Indien), sehen aber genau das als Problem der Verfassung. Sie befürchten, dass sie in den so aufgeteilten Provinzen keine Mehrheit erreichen können, und sie wieder kein größeres Mitspracherecht haben, obwohl sie sich das von der neuen Verfassung erhofft haben. In den letzten Wochen ist die Situation in dieser Region dann ein bisschen eskaliert. Es gibt fast täglich Proteste und gewaltvolle Auseinandersetzungen mit der Polizei. Es werden Busse mit Steinen beworfen, und selbst Krankenwägen werden nicht durchgelassen, weswegen schon einige Leute nicht rechtzeitig ins Krankenhaus kommen konnten.

In der Region mit den schweren Protesten hat es die Schulen noch stärker getroffen, da die meisten nur noch vormittags öffnen dürfen bzw. können, es aber morgens inzwischen fast zu kalt zum Unterrichten ist. Hier fällt also nochmal deutlich mehr Schule aus, als im Rest Nepals. In Kathmandu bekommen wir von den Unruhen aber nichts zu spüren.

Und wer ist jetzt Schuld?

Wie fast alle Krisen, die es so auf der Welt gibt, ist auch „India’s unofficial border blockade“ (Indiens inoffizielle Grenzblockade), wie sie immer in den Zeitungen genannt wird, ein zweischneidiges Blatt. Indien gibt nämlich nicht zu, dass sie nichts mehr nach Nepal exportieren, und es wurde auch nie eine offizielle Blockade verhängt. Die Nepalesen behaupten also, dass Indien die Grenzen blockiert hätte, und die Inder sagen, dass es wegen der Proteste gar nicht möglich sei, Lieferungen nach Nepal zu schicken. Es ist sehr interessant, dass die nepalesischen Medien die Option, dass die Proteste mit den fehlenden Gütern aus Indien zu tun haben könnten, bis vor wenigen Tagen so gut wie gar nicht beachtet haben. Aber dass die Nepalesen die Inder nicht leiden können, ist kein Geheimnis (ein Mädchen hier hat mal gesagt „I like Nepal and every other country, but i hate India.“). Auf der anderen Seite ist es aber auch komisch, dass es manchmal ja Lieferungen gibt. Zum Beispiel hat Nepal Verhandlungen mit China aufgenommen, um Gas und Benzin aus China zu beziehen und neue Lieferrouten zu erschließen. In dem Moment kamen dann gaaanz zufällig einige Gas- und Benzinlieferungen aus Indien an. Ich glaube auf jeden Fall, dass beide Seiten ihren Teil dazu beitragen. Inzwischen sind die Proteste allerdings so ausgeartet, dass sogar in den Zeitungen steht, dass beispielsweise die Medikamenten Lieferanten nicht nach Nepal fahren konnten, weil ihre LKWs mit Steinen attackiert wurden.

Eine gute Sache hatte die Kombination aus Feiertagen und Krise aber: Dadurch, dass weniger Verkehr auf den Straßen war, war der Smog deutlich besser als sonst, und man hat sogar die Hügel um Kathmandu sehen können.

 

Vor ein paar Wochen konnte man noch die Hügel um Kathmandu sehen, und erahnen, was für eine schöne Natur sich da versteckt...
Vor ein paar Wochen konnte man von unserer Dachterasse aus noch die Hügel um Kathmandu sehen, und erahnen, was für eine schöne Natur sich da versteckt…
Der gleiche Blick dieser Tage: diesiger Smog, und von Hügeln keine Spur.
Der gleiche Blick dieser Tage: diesiger Smog, und von Hügeln keine Spur.

So ziemlich jeder in Nepal hofft jedenfalls, dass die Krise ein schnelles Ende findet, und jeder wieder einfach und unkompliziert mit Gas kochen kann, und man nicht mehr den doppelten Preis für die Taxis zahlen muss. Ich hoffe vor allem auf warmes Wasser zum Duschen, und bin einmal mehr froh, dass Deutschland nicht so klein und abhängig von anderen Staaten ist, dass gleich das ganze Land Kopf steht, wenn das Nachbarland nicht mit dem zufrieden ist, was man so macht.

Gestern habe ich übrigens meinen ersten Generalstreik hier erlebt. Vor der Krise war das total normal, dass ein Generalstreik ausgerufen wird, und dann einfach alles still steht und auch alle Läden geschlossen haben, inklusive der Schulen. Deshalb haben wir am Morgen erfahren, dass die Kinder an dem Tag zu Hause bleiben, und am nächsten vielleicht auch noch. Gestern Abend kam dann aber die Nachricht, dass heute doch Schule ist. An solche spontanen Sachen gewöhnt man sich aber in diesem Land, weil einfach ständig Pläne geändert werden, und irgendwas passiert, oder eben nicht passiert, ohne dass jemand davon wusste. Man lässt sich halt so überraschen, was der Tag bringt, es bleibt einem ja nichts anderes übrig:)

Bis Bald,

Eure Josie

One thought on “#11 Die Krise in Nepal – Leben in einem abhängigen Staat

  1. Liebe Josie, herzlichen dank für deine so anschaulichen berichte, ich kann mir richtig gut vorstellen, wie das bei euch läuft. natürlich ist das nicht eure realität die ich mir vorstellen kann, aber du erzählst so plastisch, dass es bei mir realistische bilder gibt.
    herzliche grüße, reinhard.

Schreibe einen Kommentar